8.12.2014 – Im Goldleihemarkt scheint physisches Gold knapp zu sein – mit möglicherweise bedeutsamen Folgen.
von Thorsten Polleit.
Im Goldmarkt gibt es verschiedene Segmente: Es gibt den physischen Kassamarkt, in dem Abschluss und Erfüllung des Geschäftes zeitlich eng beieinander liegen.
Auf dem Gold-Terminmarkt fallen hingegen Abschluss und Erfüllung des Geschäftes zeitlich auseinander. Beispiele sind der börsliche Goldterminmarkt (der etwa über die COMEX läuft) und der außerbörsliche Handelsmarkt (der auch als “over the counter” (kurz: OTC) bezeichnet wird).
Im Goldleihemarkt wird physisches Gold auf Zeit ver- und geliehen, beispielsweise zu Finanzierungs- und Absicherungszwecken. Die wichtigsten Teilnehmer im Goldleihemarkt sind Zentralbanken, Banken und Minengesellschaften.
Die Zinsen für kurzfristige Goldleihgeschäfte sind jüngst negativ geworden – und zwar in einem Ausmaß, das seit Anfang 2007 nicht zu beobachten war. Wie erklärt sich das, und welche Konsequenzen könnte es haben?
Erklärungen
Eine mögliche Erklärung ist, dass der gesunkene Goldpreis die Nachfrage nach physischem Material befördert. Die Knappheit des physischen Materials steigt, und folglich sind Goldleiher zusehends bereit, einen höheren Preis für unmittelbar verfügbares Gold zu zahlen.
Es ist auch denkbar, dass sich einige Minengesellschaften absichern (“hedgen”), indem sie ihre künftige Goldproduktion schon heute per Termin verkaufen. In einem solchen Fall steigt ebenfalls die gegenwärtige Nachfrage nach physischem Gold, und auch das kann den Goldleihezins negativ werden lassen.
Eine weitere Erklärung könnte sein, dass die Zentralbanken sich immer mehr zurückhalten im Goldleihegeschäft. Ein Grund dafür mag die verstärkte öffentliche Diskussion um die Lagerung der Goldreserven sein. Halten sich die Zentralbanken im Goldleihemarkt jedoch zurück, verknappt sich das Angebot, und das Goldleihen verteuert sich; die Goldleihezinsen können negativ werden.
Ebenso möglich ist, dass der jüngste Rückzug der Deutschen Bank aus dem Edelmetallhandelsgeschäft Spuren hinterlässt. Zieht sich nämlich ein bedeutender Marktspieler zurück, ohne dass er durch einen gleichwertigen ersetzt wird, ist ebenfalls damit zu rechnen, dass sich das Goldleihangebot verknappt.
Das liegt daran, dass Zentralbanken, die ja in der Regel die bedeutendsten Goldleiher sind, ihren Handelspartner-Banken in der Regel nur begrenzte Goldleihe-Kontingente einräumen. Fällt eine Bank aus, vermindert sich folglich das gesamte Goldleihe-Angebot.
Konsequenzen
Sollten die negativen Goldleihezinsen eine strukturelle Verengung des Goldleihemarktes ankündigen, hätte das möglicherweise weitreichende Folgen. Grundsätzlich würde sich die Möglichkeit, Gold zu “shorten”, verteuern und damit unattraktiver werden.
In einem solchen Fall würde die Bedeutung des “Papiergoldmarktes” – vor allem in Form der Gold-Future-Märkte – für die Preisbildung des Goldes tendenziell zurückgedrängt zu Gunsten des physischen Marktes.
In kurzer Frist mögen die Knappheit im Goldleihemarkt und ihre Wirkung auf den Goldpreis noch nicht zutage treten, denn der Goldpreis wird derzeit vor allem von zwei gewichtigen Faktoren belastet.
Erstens: Institutionelle Investoren haben ihre Goldhaltung weiter abgebaut – abzulesen ist das an den weiter gesunkenen Beständen der “Exchange Traded Funds” (ETFs).
Zweitens: Die (leicht) gestiegenen Kurzfristzinsen in den Vereinigten Staaten von Amerika dämpfen den Goldpreis. Sie führen zu einer Verringerung der Goldnachfrage und damit auch des Goldpreises.
Eine “Verengung” im Goldleihemarkt, verursacht durch wachsende Zurückhaltung der Zentralbanken, würde die Preissetzungsmacht des “Papiergoldmarktes” nachhaltig schmälern – zugunsten des physischen Marktes, der weniger “manipulierbar” ist als der Papiergoldmarkt.
Wie sich die Zinsen im Goldleihemarkt erklären
Im Goldleihemarkt wird Gold zwischen Marktparteien ge- und verliehen. Die “Gold Offered Forward Rates” (GOFO) stehen dabei für die Zinsen, die im Zuge der Goldleihe berechnet werden. Wie alle (kurzfristigen) Marktzinsen auch, sind die GOFOs in der Regel recht eng an die Leitzinsen der US-Zentralbank angebunden.
Im Goldleihemarkt wird Gold auf folgende Weise geliehen und verliehen: Der Goldverleiher nimmt einen Kredit auf beim Goldleiher und stellt ihm Gold als Besicherung zur Verfügung. Der Goldleiher vergibt entsprechend einen Kredit an den Goldverleiher und erhält dafür das Gold als Absicherung.
Der Goldverleiher kann den Geldbetrag, den er im Zuge seiner Kreditaufnahme erhalten hat, zwischenzeitlich anlegen, und zwar zum Libor-Zins (London Interbank Offered Rate). Die Differenz zwischen dem Libor-Zins, den er dafür erhält, und dem Leihzins (GOFO), den der Goldverleiher zu zahlen hat, wird als “Lease Rate” bezeichnet.
Die GOFOs sind üblicherweise positiv. Wenn die GOFOs negativ sind, so bedeutet das, dass der Kreditnehmer (der Goldverleiher) vom Kreditgeber (dem Goldleiher) quasi belohnt wird: Er muss nicht etwa einen Zins auf den Kreditbetrag, den er aufnimmt, zahlen, sondern er erhält vielmehr einen Zins dafür. Gleichsam ist der Goldleiher bereit, dem Kreditnehmer (Goldverleiher) etwas für den Kredit, den er ihm gewährt, zu zahlen.
Negative GOFOs treten in “ungewöhnlichen”, in angespannten Marktsituationen auf. In Situationen etwa, in denen es eine starke Nachfrage nach physischem Gold gibt, die das verfügbare Angebot zu übersteigen droht. Dann sind die Goldleiher bereit, einen hohen Preis für gegenwärtig verfügbares physisches Gold zu bezahlen: Er ist bereit, dem Kreditnehmer (also dem Goldverleiher) einen Zins zu zahlen (ihm also keinen Zins in Rechnung zu stellen).
Vor diesem Hintergrund verdienen Situationen negativer GOFOs Beachtung: Sie können durchaus “Wendepunkte” markieren. Phasen eines “Ausverkaufs” am Goldmarkt können letztlich zu einem Engpass an physischem Material führen. Werden die GOFOs negativ, kann das ein Zeichen sein, dass die physische Knappheit dem Abwärtstrend des Goldpreises ein Ende setzt – und möglicherweise die Phase steigender Preise einläutet.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
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Thorsten Polleit, 47, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem Gründungsmitglied und Partner von Polleit & Riechert Investment Management LLP. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.